Mit Worten verzaubern - Magie der Sprache
Auf meiner virtuellen Couch darf ich heute Bettina Strang zum Interview begrüßen. Bettina ist Rednerin und Reden-Schreiberin, Texterin und Ghostwriterin aus Hamburg.
In ihrem Blog Wortstrang – schreibt.staunt.spaziert könnt ihr euch von ihrer pointierten Wortkunst einen Eindruck verschaffen.
Bettina, erst mal ganz herzlichen Glückwunsch zu deiner neuen Webseite – da fragt man sich doch gleich, ob man nicht irgendeinen Anlass hat um eine Rede bei dir zu bestellen!
Bei mir als Leser stellt sich sofort ein Gefühl ein wie: „Hier ist jemand, der meine besten Seiten zum Vorschein bringen kann!“
Ist das so? Ist „Reden schreiben“ der Teil deiner Arbeit bei dem du am allermeisten zuhause bist?
„Die besten Seiten“ – ich stolpere in der Tat über diese Formulierung. Frage mich, ob ich nur „die besten Seiten“ zum Vorschein bringen will? Die besten bzw. passendsten Worte in jedem Fall.
In Bezug auf das Redenschreiben ist es mir wichtig, genau die Worte für eine Person und einen Anlass zu finden, die am besten geeignet sind, das zu vermitteln, was die Rednerin bzw. der Redner ausdrücken möchte. Um das Publikum zu berühren. Worte dürfen bewegen.
Damit meine ich keine Rührseligkeit. Auch Humor kann bewegen.
Selbst trockene Fakten, wenn sie entsprechend dargeboten werden. Wer eine Rede hält, teilt sich mit und im besten Fall erreicht diese Mitteilung die Zuhörerschaft wirklich.
Insofern möchte ich genau die Seite von RednerInnen zum Vorschein bringen, mit der das Publikum berührt wird. Die Rede darf und soll über den Redemoment hinaus wirken.
Ich möchte nicht sagen, dass ich Redenschreiben am allermeisten zuhause bin, dafür schreibe ich insgesamt viel zu gern. Was ich daran sehr liebe, ist die intensive Begegnung mit den Menschen und ihrem/einem Thema. Mich in andere Gefühls- oder Gedankenwelten zu begeben.
Da ich oft anlassbezogene Reden schreibe, wie z.B. für Geburtstage, Hochzeiten oder Trauerfälle, steht der Mensch, das Leben, persönliche Werte und Beweggründe im Mittelpunkt. Das empfinde ich als große Bereicherung.
Du bist Redenschreiberin und Texterin, aber du hältst auch Reden. Wo fühlst du dich wohler?
Das ist nicht generell zu beantworten. Zu einem Ranking gezwungen, bekäme dennoch das Schreiben Platz eins.
Gleichzeitig liebe ich es eine Rede zu halten. Wirkung zu erzeugen. Im direkten Kontakt mit der Zuhörerschaft zu sein.
Schon als Kind mochte ich das. Ich war lange als Seminarleiterin tätig und habe immer viel Freude beim Präsentieren empfunden. Es macht schlichtweg Spaß.
Du bist auch auf der Bühne, im Rampenlicht zuhause? Oder lieber doch besinnlich und textverliebt am Schreibtisch?
Viele Menschen, die mich auf einer Bühne erleben, als Seminarleiterin oder moderierend, halten mich für extrovertiert und völlig angstfrei, was Auftritte angeht. Dem ist nicht so.
Ja, es gibt eine extrovertierte Seite an mir. Eine bühnenaffine Seite. 50% meines Wesens gehen nach außen. Die anderen 50% nach innen, vollkommen introvertiert. Bis hin zur Schüchternheit.
Dieses Spannungsfeld habe ich in jüngeren Jahren nicht verstanden. Dachte, man könne doch nur entweder ex- oder introvertiert sein. Heute weiß ich, ich bin beides.
Ohne Bühne möchte ich nicht sein.
Ohne die Stille meines Schreibtischs ebenfalls nicht. Ich liebe Kommunikation, Austausch mit Menschen, Lachen, Geplapper, handfeste Diskussion.
Ich liebe das Alleinsein. Brauche es, wie die Luft zum Atmen. Liebe meine Spaziergänge, die mich stundenlang allein erfüllen.
Liebe das Versunkensein in Sprache und Texten am Schreibtisch. Die Stille meiner vier Wände. Ich kann stunden- bzw. tagelang niemandem begegnen und finde das köstlich.
Und bin nicht minder beseelt bei einer Rede, einem Auftritt, einer Lesung. Es ist ein Geschenk, dass ich beide Seiten habe und leben kann.
Wie ist es so als Ghostwriter zu schreiben? Man liefert einen großartigen Text ab, und ein anderer schmückt sich damit.
Ich persönlich stelle mir das etwas schmerzlich vor, wenn keiner weiß, dass eigentlich ich es war dem diese wundervollen Worte aus Geist und Herzen geflossen sind. Was ist dein Motiv andere mit deinen Lorbeeren zu schmücken?
Ich liebe Schreiben. Punkt. Ich bin eine Schreiberin. In mir schreibt es.
Natürlich schreibt es oft mich selbst.
Meine Geschichten und meine Gedichte. Gleichzeitig schreibt es die Geschichten, Texte und Reden anderer.
Ich sage bewusst von mir, ich sei wortverbunden und diese Wortverbundenheit drückt sich darin aus, dass es mich beseelt zu schreiben.
Der Erfolg einer anderen Person mit meinen Worten ist natürlich auch mein Erfolg, den ich als solchen empfinde, wenn damit das Gelungen ist, was gelingen sollte:
Berührung.
Du kommst aus der Kosmetikbranche. Kosmetik verschönert Menschen – da zeigt sich mir eine eindeutige Parallele zu deinem jetzigen Tun.
Dennoch verbinde ich Kosmetik auch mit Masken und Fassaden, mit Verbergen von Unschönem.
Wo ist hier die Grenze, wenn du Leute oder Produkte mit Worten schminkst? Wie sicherst du Wahrhaftigkeit und Authentizität, wenn du das Beste eines Kunden unterstreichst und Anderes verdeckst?
Ich möchte ein wenig provokant zurück fragen:
Wenn du Kosmetik mit Masken und Fassade verbindest, sagt das etwas über die Kosmetik oder sagt es etwas über dich selbst aus?
Mir ist natürlich bewusst, was du meinst. Und ja, in der Kosmetikbranche geht es viel um Maske und Fassade.
Die Art und Weise wie ich persönlich den Beruf der Kosmetikerin verstanden und gelebt habe, wird in dem folgenden Zitat von Robert Musil, aus dem Buch Der Mann ohne Eigenschaften, deutlich: „Wahrscheinlich ist Schönheit nichts anderes als Geliebtwordensein. Denn etwas lieben und es verschönen ist ein und dasselbe. Und seine Liebe zu verbreiten und andere ihre Schönheit finden zu machen ist auch ein und dasselbe.“
Desweiteren sei angemerkt, dass eine Kosmetikerin in erster Linie an und mit der Haut arbeitet, d.h. Schminken nimmt oft nur eine Nebenrolle ein und ist eher das Parkett der VisagistInnen oder ParfümeriefachberaterInnen.
Bei meiner Arbeit ging es darum, Lösungen für Hautprobleme zu finden. Menschen eine Auszeit zu geben.
Ihnen ihre schönen Seiten deutlich zu machen. Sie ihre Schönheit entdecken zu lassen. Schönheit zu unterstreichen. Wohlgefühl in der eigenen Haut zu kreieren.
Ich selbst habe ab meinem 14. Lebensjahr eine ausgeprägte und sehr schlimme Akne gehabt. Über viele, viele Jahre. Das war prägend.
Hautmakel können einen immensen Leidensdruck hervorrufen. Und, ja, da ist die Kunst des Verdeckens (abgesehen von der Ursachenbekämpfung) manchmal eine Gnade. Eine Erlösung für die betroffene Person.
Nicht was wir tun, sondern warum und wie – das ist am Ende das Ausschlaggebende.
Was das Thema Authentizität angeht, so halte ich dieses Wort aktuell für unglaublich fehlinterpretiert.
Die nackte, authentische Wahrheit über mich kann sein, dass ich mich selbst inszeniere und diese Inszenierung liebe. Genau dann bin ich authentisch. Ich lebe und zeige, was ich will, bin, möchte.
Nehmen wir einmal die Drag Queen Olivia Jones hier aus Hamburg. Wann ist sie authentisch? Als abgeschminkter Mann oder als Olivia Jones? Dieser Mensch ist authentisch, weil er lebt, was er nach außen bringen möchte.
Erst im Vorhandensein von Privat- und Kunstfigur kommt die Authentizität zum Vorschein.
Meine roten Haare beispielsweise, sind selbstverständlich nicht meine Naturfarbe. Gleichzeitig ist dies die ehrlichste Farbe, die ich je hatte. Kaum war sie auf meinem Kopf, fühlte ich, dass ich genau das bin.
Interessanterweise war und ist das eines der häufigsten Feedbacks dazu.
Zurück zur Kosmetik: Wenn mich meine Pickel stören, ich Scham über sie empfinde und mich deshalb schminke, dann bin ich in und mit diesem Wunsch authentisch.
Wenn ich nach außen so tue, als gäbe es diese Scham nicht, bin ich nicht authentisch. Nicht die nackte Haut mach uns „echt“. Sondern zu unseren Beweggründen zu stehen, warum wir etwas tun oder lassen.
„Unechtes“ ist echt, wenn wir unsere echten Gründe dafür offenlegen. Wort oder Haut: Wann ich schminke oder das Thema ungeschminkt belasse, entscheidet immer die Authentizität.
Ich habe gelesen, dass du vegetative Entgleisungen bekommst, wenn dich jemand nach der Kosmetikerin Bettina fragt – warum eigentlich?
Was ist so verwerflich an diesem Beruf? Womit kannst du dich nicht (mehr) identifizieren?
Hihi, ach, da muss ich nun lächeln. Inzwischen bekomme ich diese Entgleisung nicht mehr. Am Beruf der Kosmetikerin ist selbstverständlich gar nichts verwerflich. Leider hat er nicht den besten Ruf bzw. ist an viele Klischees geknüpft.
In deiner Frage vorhin ist eines davon bereits aufgetaucht: Es geht um Schminke und Gesichter anmalen.
Nein, darum geht es, wie erwähnt, in der Kosmetikkabine so gut wie nie.
Ein Problem des Berufsstandes ist sicher, dass die Bezeichnung Kosmetikerin nicht geschützt ist. Es ist nicht einheitlich ein Ausbildungsberuf. Jeder Mensch darf sich ein Zertifikat selbst malen und „Kosmetiker/in“ darauf schreiben und dann an unserem größten Organ tätig werden. Das ruft auch nicht sonderlich fachkompetente Menschen auf den Plan.
Ach Gott, und wie oft habe ich früher diesen Satz gehört: „Du bist Kosmetikerin? Du siehst gar nicht so aus!“
Oder neue KundInnen, die mir nach der ersten Behandlung sagten: „Mit Ihnen kann man ja richtig tiefgreifend reden.“ oder „So eine gründliche, gute Hautberatung hatte ich noch nie.“
Die meisten meiner Kolleginnen, die ihre Profession ernst nehmen, haben gute Ausbildungswege und vor allem gute Fortbildungen ge- und besucht. Haben profundes Wissen und Verständnis zum Thema Hautpflege. Damit kann und werde ich mich jederzeit gerne identifizieren.
Womit ich mich nicht identifiziere ist seelenloses perfektionieren von Gesichtern/Menschen, um einem höchst fragwürdigen Schönheitsideal zu entsprechen.
Wenn es wirklich nur um glatter, brauner, straffer, perfekter, jünger geht. Wenn die Schönheit zum Fetisch wird und den Bezug zum Wesen einer Person verliert.
Bettina Strang der Menschenmensch, fasziniert vom Menschlichen, das schließt mit ein, dass eben nicht alles perfekt ist.
Dass es hinter Fassaden so viel zu entdecken gibt, was auf den ersten Blick verborgen ist – aber auch dass zum Leben Schmerz und der Tod gehört. Bei einem Praktikum im Krankenhaus warst du hautnah dabei.
Wie gerne schreibst du Trauerreden?
Menschen haben ein Leben, ein Sterben und einen Tod.
Abschied nehmen ist wichtig, auch für den Trauerprozess.
Viel zu häufig läuft das nach Schablone ab. Ohne Raum für (Achtung!) authentische Gefühle. Mich hat schon sehr früh bewegt, was von einem Leben übrig bleibt. Sowohl im Sterbeprozess als auch nach dem Tod.
Mich bewegt bis heute, was es mit den Hinterbliebenen macht.
Ich schreibe Trauerreden sehr, sehr gerne, denn mein innerer Bezug zum Tod ist groß und meine Berührungsangst gering.
In einer Trauerrede geht es natürlich um die verstorbene Person, die ich jedoch in der Regel nicht kenne.
Insofern geht es um den Bezug des Umfeldes zum/zur Verstorbenen. Im Gespräch mit den Hinterbliebenen spüre ich einerseits einem fremden Leben nach, andererseits geht es darum zu erfassen, was für die Menschen wichtig ist, um gut Abschied nehmen zu können.
Die Konvention gibt vor, dass wir bei einer Trauerfeier zu weinen haben, dass es traurig sein muss. Dass nichts problematisches zur Sprache kommt oder gar lustiges. Das ist irrsinnig.
Eine Trauerrede muss zu den lebendigen Menschen und ihrer Beziehung zur verstorbenen Person passen. Sie bringt genau das zum Ausdruck.
Sie darf Leichtigkeit beinhalten, wo sie hingehört.
Schwere, wo es schwer war.
Klarheit, wo sie wichtig ist.
Traurigkeit, Lachen, Erleichterung, Fassungslosigkeit, Beklemmung, Befreiung – es gibt so vieles, was ausgesprochen werden darf.
Ein Beispiel: Wenn Angehörige die verstorbene Person gepflegt haben oder es ein quälender Sterbeprozess war, der zu einer hohen, inneren Anspannung geführt hat (oft über Monate oder Jahre gar!), dann ist eine vollkommen natürliche Reaktion, dass wir spontan Erleichterung empfinden, wenn diese Anspannung genommen wird.
Wird sie durch den Tod des betreuten Menschen genommen, dann trauen wir uns nicht, das zu empfinden. Die Mutter, der Vater, der Partner sind gerade gestorben und wir sind erleichtert? Um Himmels Willen! Wie ungehörig!
Dabei ist das im Augenblick ein völlig normales und legitimes Gefühl. Schmerz und Trauer tauchen oft erst viel später auf.
Es gibt keine „falschen“ Gefühle. Dazu möchte ich mit dem Trauergespräch und der Trauerrede beitragen. Was wichtig ist, soll den gebührenden und passenden Raum bekommen.
Ja, das ist durchaus manchmal eine Gratwanderung. Sie zu meistern ist meine Passion.
Mal angenommen die Kosmetikerin Bettina wäre verstorben, was schreibt die Texterin Bettina als Nachruf?
Da sitze ich und grüble. Gab es die eine je ohne die andere?
Die Texterin würde jetzt mit dem Umfeld der verstorbenen Kosmetikerin sprechen.
Das erinnert mich an mein „Abschiedsbuch“, welches ich am letzten offenen Tag meines Kosmetikstudios zur Abschiedsfeier ausgelegt hatte.
Alle Kundinnen und Kunden konnten mir einen Gruß hinterlassen.
Und die meisten haben es getan.
Dieses Buch ist bis heute ein großer, persönlicher Schatz für mich. Nie zuvor hatte mir etwas oder jemand so frei offenbart, was ich in diesen 15 Jahren getan hatte:
Menschenmensch sein.
In diesem Buch geht es manchmal um Haut. Manchmal um Kosmetik. In der Hauptsache geht es um gemeinsame Zeit und Berührung.
Um gemeinsames Erzählen, um Lachen, um Weinen, um persönliche Einblicke, Verbundenheit, Vertrauen, geschützte Räume, Leichtigkeit, Entfaltung und so vieles noch mehr.
In meinem Nachruf für die Kosmetikerin stünde wenig über die Kunst des Schminkens und viel über die Schönheit des Menschseins. So wie in meinem Leben jetzt.
Liebe Bettina, Ich danke dir herzlich für dieses wunderbare Gespräch! Es war mir eine Ehre, und viele deiner Antworten haben mich tief zum Nachdenken gebracht!